BG3

Babygeschichte 3/4






Leider bestätigte sich mein Verdacht: auf dem Ultraschall-Monitor war zwar noch mein Linus zu sehen, aber das kleine Herzchen schlug nicht mehr. Ich war damals in der 30. Schwangerschaftswoche. Alles was ab diesem schrecklichen Moment geschah, ist mir heute, als hätte ich einen Film darüber gesehen; also irgendwie, als wäre ich aus mir herausgetreten und würde mir nun ansehen, was weiter passierte. Wir kamen aus der Praxis und Fritz fragte mich, warum ich so weine. Ganz spontan sagte ich ihm, dass Linus nicht mehr in meinem Bauch sei und jetzt oben am Himmel auf einer Wolke säße. Seine erste Reaktion war „Mama, da musst du doch nicht weinen. Dort kann er uns doch immer sehen.“
 
Das weitere „Procedere“ war nun wie folgt: ich musste zu weiteren Untersuchungen und zum „endgültigen Feststellen des Todes meines Babys“ in die nächstgelegene Uniklinik. Wir fuhren in unser Ferienhaus, um die nötigsten Sachen zu packen. Da weder mein Mann noch ich in der Lage waren, einen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn Auto zu fahren, fuhr uns der Mann meiner Freundin. Zu allem Überfluss war in der einen Stunde unserer Abwesenheit in unser Ferienhaus eingebrochen worden, aber das nahm ich nur am Rande war. Meine liebe Ada war es, die mit dem ganzen Chaos, den zwei Kindern, dem Kummer und der Polizei dann alleine war.
 
Im Krankenhaus stellte man nun erneut fest, dass Linus’ Herzchen nicht mehr schlug. Ich war nicht mehr in der Lage, auf den Monitor des Ultraschallgerätes zu schauen. Der Anblick war zu schmerzhaft. Ich bat eindringlich darum, nach Hause fahren zu dürfen, in die Klinik, in der ich Fritz bekommen habe und in der Linus eigentlich auch geboren werden sollte. Ich war eigentlich davon ausgegangen, dass man nun einen Kaiserschnitt machen würde, am liebsten unter Vollnarkose, denn ich wollte so schnell wie möglich das Schmerzhafte vergessen können. Leider – aus heutiger Sicht Gott sei Dank – beraubte man mich schnell dieser Illusionen. Ein Kaiserschnitt sei nunmal eine Operation und ein weiteres Risiko für die Mutter. Heute weiß ich, die Ärzte wissen genau, warum sie einer Mama dazu raten auch ein totes Baby „normal“ zur Welt zu bringen.


Nach vielen Stunden Autofahrt mit gefühlt 36 Stunden Schlaflosigkeit, kamen wir in heimatlichen Gefilden an. Meine Eltern nahmen mitten in der Nacht, auf dem Parkplatz des Krankenhauses, den schlafenden Enkel Fritz entgegen und wünschten uns viel Kraft. Nach diversen Untersuchungen leiteten die Ärzte die Geburt bei mir ein. Da Linus nicht mehr mithelfen konnte und mein Körper ja noch nicht auf „Geburt“ eingestellt war, dauerte dies leider seine Zeit. 1 ½ Tage und Nächte lag ich im Kreißsaal, verlor leider sehr sehr viel Blut – warum, habe ich bis heute nicht richtig verstanden – und erlebte diese Zeit mehr in Trance und Halbschlaf als bewusst. Ich war allerdings umgeben von unglaublich lieben Ärzten und Hebammen, die allesamt sehr einfühlsam waren und sich bemühten, mir die Situation so angenehm wie möglich zu machen. Die ganze Zeit durfte mein Mann bei mir sein; man stellte ihm sogar ein Bett neben meines, damit er den versäumten Schlaf nachholen konnte, ohne von meiner Seite weichen zu müssen.


Als wir dann nach 1 ½ Tagen unseren Linus endlich im Arm halten durften, waren wir zwar unendlich traurig, aber dennoch unfassbar stolz auf unseren zweiten Sohn. Er war so perfekt, hatte lange dünne Finger und glich seinem großen Bruder wie ein Ei dem anderen. Das war auch der Moment, an dem ich verstanden habe, warum es so wichtig war, Linus „normal“ zur Welt zu bringen. Mir hat es sehr geholfen, ihn als mein Kind anzunehmen, ihn als Familienmitglied willkommen zu heißen, obwohl an der Ostsee mein allererster Gedanke war „holt mir dieses tote Etwas aus dem Leib“. Die Hebamme, die sich nach der Geburt um Linus „kümmerte“, ihn wusch, vermaß – ja, genau so, als wäre er lebend zur Welt gekommen – hat so liebevoll mit ihm gesprochen. Es war einfach nur schön und traurig zugleich (und wenn ich jetzt beim Schreiben alles wieder so präsent vor Augen habe, kullern mir – mal wieder – die Tränen).


Mit Linus bescherte ich derselben Klinik, in der auch Fritz mit seinen nur 7 Fingern ein seltenes „Phänomen“ war, erneut ein bis dahin dort nie dagewesenes Ereignis: an eine Todgeburt konnten sich die Ärzte und Hebammen, die sich um mich kümmerten, nicht erinnern. Ich bin ihnen bis heute sehr dankbar. Sie haben intuitiv alles richtig gemacht! Ich wünsche allen, denen solch ein schreckliches Ereignis passiert, solch ein tolles Team an die Seite. Es hilft enorm!
 
An die folgenden Wochen kann ich mich nur noch dunkel erinnern. Ich erinnere mich nur noch an wenige Momente, wie die Beerdigung, die ich makabererweise auf der langen Autofahrt von der Ostsee bis ins Krankenhaus haarklein geplant hatte (es war wohl so eine Art „Übersprungshandlung“ oder so), meine liebste Ada hatte organisiert, dass sie eine ganze Woche ohne ihr Töchterchen zu uns kommen konnte (sie lebt in Bayern), nur um ganz für mich da zu sein. (Ada, ich weiß nicht, ob ich dir jemals genug dafür gedankt habe? Ich hab’ dich ganz doll lieb und bin so froh, dass es dich gibt :-*)


Irgendwann findet man seinen Alltag wieder. Lange hat uns natürlich die Frage beschäftigt, warum Linus nicht mit uns leben durfte/konnte... Ärztliche Untersuchungen gaben leider keine Antwort. Organisch war alles in Ordnung, er war altersentsprechend entwickelt, die Nabelschnur war unversehrt, .... Wir Menschen brauchen immer einen Grund, eine Erklärung für alles. Sehr schwer, zu akzeptieren, wenn man eine „Sache“ einfach hinnehmen muss. Aber man lernt irgendwann, damit zu leben. Wir MUSSTEN es ja auch, schließlich hatten wir ja auch unseren Fritz, der - hoch sensibel, wie er ist, - unsere volle Aufmerksamkeit und Fürsorge brauchte. Für mich persönlich, war Fritz in der Zeit die beste „Therapie“, die ich hätte haben können. Bis heute habe ich keinerlei andere Hilfe in dieser Richtung in Anspruch genommen, war aber zu jeder Zeit offen und bereit dafür, wenn ich es gebraucht hätte.


Traurig ist man immer mal wieder, wäre ja auch nicht normal, wenn nicht. Aber wir haben es – nicht zuletzt auch für, oder wegen Fritz – geschafft, Linus mit Ritualen in unser Familienleben zu integrieren. Wir feiern z. B. jedes Jahr den Geburtstag mit Kuchen und bunten Luftballons, die wir hoch in den Himmel schicken. Egal, wo wir gerade sind. Das wird nie verschoben oder vergessen. Und Fritz hat auch immer schon dafür gesorgt, dass allen klar ist, dass er auch einen Bruder Linus hat, der „im Himmel auf unserer Familienwolke lebt, der immer gegen den Regenmacher kämpft, damit für uns die Sonne scheint“. Sogar unsere Jüngste, Paula, redet inzwischen von ihrem zweiten Bruder, als hätte sie Linus persönlich gekannt (wir haben ihr zunächst nichts von ihm erzählt; diesen Part hat voll und ganz Fritz übernommen).



Nachdem alle körperlichen und seelischen Narben einigermaßen verheilt waren, kam natürlich der Wunsch nach einem Geschwisterchen für Fritz wieder in uns auf. Wir hatten erneut alle möglichen genetischen Ursachen diskutiert und mit Beratung der Ärzte ausschließen können. Viele Bekannte und Verwandte konnten nicht verstehen, dass wir das „Risiko“ nochmals eingehen wollten. Unser Bauchgefühl aber sagte „ja, wir wollen es nochmal wagen“. Ich wurde erneut schwanger. Mir ging es aber von Anfang an gar nicht gut und ich hatte ein sehr ungutes Gefühl, als ich ca. in der 16. SSW einen Ultraschalltermin bei meinem Arzt hatte. Er schimpfte mit mir, ich solle endlich mal positiv denken, soviel Unglück könne eine einzige Familie doch nicht haben... Als ihm der Kopf des Ultraschallgerätes bald aus der Hand fiel, wusste ich, dass mein „7. Sinn“ mich nicht getäuscht hatte. Es hört sich vielleicht schlimm an, aber diese Fehlgeburt war für mich kein Drama. Ich hatte vorher viel Schlimmeres erlebt und mein Kopf sagte mir, dass statistisch gesehen jede dritte Schwangerschaft in einer Fehlgeburt enden kann. Wahrscheinlich war das mein körpereigener Schutzmechanismus. Es wäre zuviel gesagt, wenn ich behaupten würde, dass ich danach schnell wieder zum Alltag überging, aber tatsächlich, habe ich diese Fehlgeburt relativ schnell ausgeblendet – sehr zum Zorn meines Sensibelchens Fritz, der natürlich von alledem Wind bekam (da brauchte man gar nicht erst zu versuchen, es vor ihm zu verheimlichen).



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